Newsletter 07/2017

April 27, 2017

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N O T I Z E N  Z U R  C O R P O R A T E   C U L T U R E / 7

Ehrbare Kaufleute – na klar! Gesinnungs-TÜV – nein danke!

Die öffentliche Aufmerksamkeit für moralisch anständiges Wirtschaften und ethisch orientierte Unternehmensführung hat sich in den letzten Monaten noch einmal spürbar erhöht – das ist das Gute im Schlechten des sogenannten Abgas-Skandals der Automobilindustrie. Folgerichtig ist in den Management- und Beratungsfeldern Corporate Social Responsibility und Compliance derzeit eine deutlich erhöhte Aktivität zu beobachten. Die CSR-Richtlinien und die Codes of Conduct werden mit Engagement und Fleiß auf den neuesten Stand gebracht. In manchem Konzern-Bericht taucht neuerdings die Metapher des „ehrbaren Kaufmanns“ als Leitfigur auf. (Die mittelständischen Familien-Unternehmer in meinem Netzwerk finden das übrigens eher irritierend – wieso wird denn von einer Selbstverständlichkeit plötzlich soviel Aufhebens gemacht?).

Mit der CSR-Konjunktur schreitet die Standardisierungs-Tendenz einher. Verschiedene, z.T. konkurrierende Mess- und Prüfverfahren sind auf dem Markt. Eine zunehmende Zahl von Unternehmen weltweit unterzieht sich inzwischen freiwillig einer „Ethik-Zertifizierung“. Die bekanntesten Ansätze sind ISO 26000, EFQM, und neuerdings der „DEX Deutscher Ethik Index“ der Stiftung Club of Hamburg als hierzulande ambitioniertester Ansatz). Nachhaltigkeits- bzw. CSR-Aktien-Indices einschließlich der entsprechenden Rating-Verfahren spielen ebenfalls eine wichtige Rolle, seit in den achtziger Jahren der Dow Jones Sustainability Group Index von der Schweizer Rating-Agentur SAM aus der Taufe gehoben wurde.

Im – seltener ausgeleuchteten – Hintergrund dieser Betriebsamkeit laufen ein paar spannende Fragen mit, zum Beispiel:

  • Ist die „Ehrbarkeit des Kaufmanns“ überhaupt messbar? Und wenn ja: Was genau wird da eigentlich gemessen? (R. Sprenger hat mal geschrieben – flapsig, aber mit einem Körnchen Wahrheit: „Wer viel misst, misst viel Mist“.)
  • Wie wird die Verbindlichkeit sichergestellt (also gleichsam die Nachhaltigkeit der Nachhaltigkeits-Verpflichtung)?
  • Wer sorgt im politisch-gesellschaftlichen Kontext für die „Startberechtigung“ oder „Disqualifikation“ der Akteure? Brauchen wir am Ende so etwas wie einen „Ethik-TÜV“?

Zur letzten Frage hat sich der Wirtschaftsethik-Guru Peter Ulrich vor ein paar Jahren recht dezidiert eingelassen: In seinem Grundlagen-Werk (Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie, Bern u.a. 2008) verlangt er letztlich, jedes Geschäftsmodell müsse vor der Unternehmensgründung auf seine „republikanisch-ethische Eignung“ hin geprüft werden. Ulrich nennt als ethisch wünschenswerte Unternehmungen solche aus den Branchen Ernährung, Wohnungsbau, Verkehr, Gesundheit, Bildung. Ob und durch wen hiervon abweichende unternehmerische Geschäftsideen ggf. verboten werden sollen, lässt er offen. Da er dem Diskurs-Modell von Jürgen Habermas zugeneigt ist, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass „die Öffentlichkeit“ als Entscheider fungieren soll. Ob dieses Diskurs-Modell im Zeitalter von Fake News, Shitstorms und Schwarm-Dummheit allerdings noch taugt, sei dahingestellt.

Mich treibt eher die Frage um, ob solche Ideen einer „License to Operate“ überhaupt mit dem Leitbild einer Sozialen Marktwirtschaft kompatibel sind. Dieses Modell beruhte doch – wenn ich mich mit Hilfe der einschlägigen Texte von Röpke, Eucken, Müller-Armack, Böhm u.a. recht erinnere – darauf, dass die (vor allem ja wohl auch: unternehmerischen!) Marktkräfte erst einmal zur Entfaltung gebracht werden müssen, damit sie im Sinne der Lebensbedürfnisse der Menschen nutzbar gemacht werden können.

Eine „Ethik-Zulassungsstelle“ würde aber wohl oder übel die Tendenzen zur Ausschaltung des Wettbewerbs befördern und der weiteren Bevormundung der Marktteilnehmer Vorschub leisten.

Wer sich als Existenzgründer und Unternehmer an die – in Deutschland ja nun wirklich nicht unterregulierten – Rahmenbedingungen hält, sollte sich nicht einer A priori-Gesinnungs-prüfung unterziehen müssen. Oder halten wir diesen Gedanken inzwischen schon für den Ausdruck einer marktradikalen Gesinnung?

Meine Empfehlung wäre, anstelle einer Ethik-Aufsichtsbehörde oder einer diffusen „Öffentlichkeit“ den Stakeholdern des Unternehmens getrost die Schiedsrichter-Rolle über dessen ethische Korrektheit zu überlassen. Die mündigen Kunden, emanzipierten Mitarbeiter und kritischen Nachbarn wären mit meiner Vorstellung von Sozialer Marktwirtschaft allemal besser kompatibel als jede künstlich erzeugte Prüfinstanz.

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* „Verständnisfragen“ werden manchmal bei Veranstaltungen gestellt, um zu Wort zu kommen, obwohl Fragen eigentlich nicht zugelassen sind. Die Veranstaltung, in der wir uns alle zusammen gerade befinden, scheint zu diesem Typus zu gehören. Fragen sind unerwünscht, lästig, halten nur den Betrieb auf. Der Schriftsteller Bodo Kirchhoff hat es 2009 so formuliert: Es bleibt keine Zeit mehr für Fragen, es reicht nur noch für Antworten. Ich nehme mir gerne einmal im Monat Zeit für aktuelle Fragen und für (gerne auch Ihre!) Antworten.

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