N O T I Z E N Z U R C O R P O R A T E C U L T U R E / 2
Sollen Manager Meetings schwänzen?
Wenn der Harvard Business Manager als „Management-Tipp des Tages“ empfiehlt: „So schwänzen Sie Meetings“, dann wirft das doch ein ziemlich schräges Licht auf unsere Busness Comunity, oder?
Egal, ob man darin jetzt eine ernstgemeinte Anstiftung zu subversivem Verhalten von Führungskräften sieht oder den HBM-Tipp als satirischen Kommentar zu den skurrilen Seiten unserer Unternehmenskultur hinnimmt – die Sache mit den Meetings bleibt ein Dilemma.
Zwar bestreitet kaum jemand, dass Führungskräfte und Mitarbeiter viel zu viel Zeit in Besprechungen verbringen, in manchen Firmen und Behörden bis zu 80 Prozent der Arbeitszeit. In einigen Konzernen erzeugt eine Stunde Vorstandsmeeting mehr als 40 Stunden weiterer Besprechungen. Das sind absurde Verhältnisse!
Aber: Obwohl jeder genervt ist und die Ressourcen-Verschwendung beinahe täglich erlebt, findet man irgendwie keinen Ansatzpunkt zur effektiven und effizienten Veränderung der gewachsenen/ gewucherten Meeting-Landschaft.
In einer aktuellen Studie wurden Führungskräfte und Mitarbeiter in Deutschland zu ihrer Einschätzung der Meeting-Qualität in ihren Unternehmen befragt. Ein Drittel der Befragten erlebt Besprechungen als:
- zu häufig
- zu lange
- zu unproduktiv.
Wie die Untersuchung zeigt, wissen die Unternehmen in den meisten Fällen sehr wohl um die mangelhafte Qualität der Besprechungen. Dieser Befund deckt sich genau mit meinen Beobachtungen aus zahlreichen Beratungsprojekten zur internen Kommunikation: Man sieht den Mange, geht aber – im wahren Sinne des Wortes – zur Tagesordnung über. Und das ist ein Problem, denn dadurch wird nicht nur Produktivität verschenkt, sondern auch die Unternehmenskultur an einer empfindlichen Stelle beschädigt: Schlecht vorbereitete Meetings sind immer auch Ausdruck mangelnder Wertschätzung gegenüber Mitarbeitern und Kollegen.
Wie kann man Meetings (wieder) zu dem machen, wofür sie eigentlich da sind: zu einem effizienten Kommunikations- und Führungsinstrument?
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* „Verständnisfragen“ werden manchmal bei Veranstaltungen gestellt, um zu Wort zu kommen, obwohl Fragen eigentlich nicht zugelassen sind. Die Veranstaltung, in der wir uns alle zusammen gerade befinden, scheint zu diesem Typus zu gehören. Fragen sind unerwünscht, lästig, halten nur den Betrieb auf. Der Schriftsteller Bodo Kirchhoff hat es 2009 so formuliert: Es bleibt keine Zeit mehr für Fragen, es reicht nur noch für Antworten. Ich nehme mir gerne einmal im Monat Zeit für aktuelle Fragen und für (gerne auch Ihre!) Antworten.
Jost Merscher
Meetings unter Effizienzgesichtspunkten zu kritisieren scheint triftig zu sein, wenn man den personellen zeitlichen Aufwand ausschließlich mit den Ergebnissen im Sinne der jeweiligen TO abgleicht. Allzu oft scheint ein Berg aufgetürmt zu werden, um nichts anderes als ein Mäuschen zu gebären. Aber haben Besprechungen tatsächlich nur die eine Funktion, Entscheidungen bzw. Lösungen für formulierte Probleme herbeizuführen?
Jede Unternehmung erfordert größtmögliche Einstimmigkeit der Bemühungen aller an dieser Unternehmung Beteiligten, insbesondere auf den Führungsebenen. Dazu müssen die beteiligten Führungskräfte ihre Handlungseinstellungen koordinieren und aufeinander abstimmen. Dies geschieht – wir sind begrifflich denkende und agierende Wesen – nachhaltig hauptsächlich in persönlichen Besprechungen. Ohne den dauernden Abgleich und die permanente gemeinsame Diskussion der die Unternehmungen bestimmenden weichen wie harten Faktoren, Begriffe, Einstellungen usw. kann diese notwendige Einstimmigkeit nicht erreicht werden.
Dieser Prozess nun kostet Zeit und eigene Bemühung, nicht nur des Sprechens, sondern auch und besonders des Zuhörens. In Bezug auf gemeinsame Ziele werden wir nur durch freies, offenes Zuhören besser und effektiver. (Es ist daher keineswegs ineffektiv, wenn in Meetings manchmal sogar der größere Teil der Anwesenden nicht zu Wort kommt. (Eine kleine Nebenbemerkung: Das persönliche Dabeisein und Zuhören ist wesentlich und kann nicht durch schriftliches Informiertwerden ersetzt werden. Alles kommunikativ Feinere kann gewöhnlich nur in persönlichen Zusammenkünften erfahren werden.))
Effektives Sprechen & Zuhören aber erfordert Zeit, gewöhnlich sogar viel Zeit. So kann es absolut sinnvoll sein, 80 % der Arbeitszeit auf Meetings zu verwenden, um in den verbleibenden 20 % besonders effektiv und befriedigend die eigentliche Unternehmensagende zu erledigen.
Wirft man dem 100-m-Olympiasieger vor, dass er, unterstützt von einem großen Team von Betreuern, jahrelang trainiert hat, um den einen entscheidenden 10-Sekunden-Lauf zu gewinnen?