Newsletter 03/16

Juli 5, 2016

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N O T I Z E N  Z U R  C O R P O R A T E   C U L T U R E / 3

Gibt es eigentlich immer noch Machiavellisten im Management?

Niccolò Machiavelli gehört ganz sicher seit jeher zu den (manchmal klammheimlichen) Vorbildern in der Welt der Politiker. Sein Name steht für: „Schlechte Dinge tun, um gute Ergebnisse zu erreichen“; moralische Hindernisse beiseite räumen, oder, etwas zeitgemäßer: Gute Politiker sind Pragmatiker. Oder, noch eleganter:

„… moral framing of leadership substantially oversimplifies the real complexity of the dilemmas and choices leaders confront. An essay on the 500th anniversary of the writing of Machiavelli’s The Prince noted that it is sometimes necessary to do bad things to achieve good results. For example, Nelson Mandela, Abraham Lincoln, and John F. Kennedy were above all pragmatists, willing to do what was necessary to achieve important objectives.“ (McKinsey Quarterly, January 2016)“.

Wer in einer schlechten Welt als Guter überleben will, ist manchmal auf die Hilfe eines Schurken angewiesen. Brechts „Guter Mensch von Sezuan“ und Goethes „Faust“ werden im Feuilleton bemüht, um Angela Merkels „unmoralischen Flüchtlings-Pakt“ mit Recep Erdogan ethisch einzuordnen. Wer Macht hat (oder sich leiht), darf an die Stelle von Gut und Böse das Prinzip Erfolg oder Scheitern setzen; der Mächtige braucht sich nicht um die Zehn Gebote zu scheren – vorausgesetzt, die Sache nimmt ein gutes Ende.

Und wie halten wir’s im Wirtschaftsleben mit Machiavellis Lehren?

Nun ja, gegen Pragmatismus hat wohl kein vernünftiger Wirtschaftsmensch etwas einzuwenden. Unser folgenethischer Grundkonsens – betrachte die Dinge vom Ende her und miss dein Vorgehen am Ergebnis – trägt uns normalerweise durch die eine oder andere moralische Grauzone. Da gibt es nur ein Problem:

Macht sollte eigentlich in der vom homo oeconomicus besiedelten rationalen Welt kein Erfolgskriterium sein, weder in der Volkswirtschaft (deswegen gibt es das Kartellamt), noch im modernen Unternehmen (flache statt Status-Hierarchie, Überzeugen statt Befehlen, partnerschaftliche Führungsmodelle…). Nun gut, jeder weiß, dass das Idealvorstellungen sind. Walter Eucken und Reinhard Sprenger lassen grüßen. Wir halten es auch hier mit der „80%-Lösung“. Im Führungskräfte-Meeting bedeutet die Redewendung „das ist jetzt politisch so gewollt“, dass es um Macht- statt um Sachentscheidungen geht, und jeder versteht die darin enthaltene Botschaft: Halt dich da besser raus! Und schließlich wissen wir ja auch aus unserem Familien- und Beziehungs- Alltag, dass der angestrebte Verzicht auf Machtspielchen und allerlei sonstige „Machiavelli-Tricks“ uns nicht zu hundert Prozent gelingt.

An dieser Stelle lohnt ein Blick auf die historische Person. Machiavelli, der zu recht als Pionier der modernen politischen Theorie gilt, hat scharf zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre unterschieden. Er war als Privatperson absolut unbestechlich und führte ein (christlich-) moralisch vorbildliches Leben. Das, was wir heute mit „Machiavellismus“ verbinden, vor allem, dass der gute Zweck die bösen Mittel heilige, bedeutete für den Namensgeber: Nur der mit der Führung des Staates betraute Monarch durfte und sollte das ganze Instrumentarium der Macht einsetzen – je rücksichtsloser desto besser. „Besser“ im Sinne des Ganzen, nicht zum Vorteil des Einzelnen. Machiavelli war Idealist. Das Neue in seinem Denken war die Überwindung des egoistischen Machtstrebens einzelner Dynastien oder Clans zugunsten einer langfristigen, strategischen Politikgestaltung im Sinne eines „höheren Zwecks“. Privatunternehmen wie Google oder Facebook können diesen Idealismus also per definitionem nicht in Anspruch nehmen, um ihren Machtgebrauch beim Disruptieren der Welt zu legitimieren.

Für unser Thema Machiavellismus im Management ist ein anderer Aspekt in der Wirkungsgeschichte des Renaissancepolitikers aus Florenz aktuell viel spannender: Wogegen hat sich Machiavelli damals positioniert, wer waren seine ideologischen Gegner?

Sein klares Feindbild: Die Humanisten; er hat die „Gutmenschen“ in der Republik Florenz dafür verachtet, dass sie lieber verhandeln wollten anstatt die Feinde mit Stumpf und Stiel auszurotten. Der Fürst, der seinem Ideal am nächsten kam, Cesare Borgia, hatte aus seiner Sicht nur eine Schwäche: dass er bei der Vernichtung der Gegner nicht bis zum Letzten ging. Niccolò Machiavelli ist so etwas wie der Urvater des Antihumanismus.

Das Menschenbild entscheidet

Während die Humanisten damals wie heute an das Gute im Menschen, an Kunst, Bildung, Dialogorientierung und Friedfertigkeit statt an das Recht des Stärkeren glauben, ist Machiavellis Menschenbild eindeutig negativ.

„Denn die Liebe wird von einem Band der Verpflichtung getragen. Dieses aber wird von den Menschen, da sie nun einmal schlecht sind, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum eigenen Gewinn zerrissen“ (Machiavelli, Il Principe).

Und wenn der Mensch nun mal schlecht ist, so mag sich der Politikberater Machiavelli gedacht haben, dann helfe ich den Mächtigen dabei, ihre destruktive Energie, ihre Aggressivität in strategisches, „professionelles“ (Eroberungs-)Handeln zum Ausbau der Staatsmacht umzuleiten.

Auch heute werden Menschen, denen moralische Integrität wichtiger ist als Macht, Geld oder Promi-Status, gerne mal als Naivlinge, Loser oder eben „Gutmenschen“ belächelt. Das dabei zugrundeliegende Menschenbild ist vielleicht nicht mehr unaufgeklärt-vormodern wie bei Machiavelli, sondern postmodern wie bei Nietzsche oder gar transhumanistisch-zynisch wie bei Kurzweil und Sloterdijk: Es bleibt im Kern negativ.

Und damit gerät unweigerlich derjenige Manager in ein Dilemma, der versucht, das Credo moderner Personalführung und Unternehmenskultur mit der heimlichen oder bewussten Neigung zum Machiavellismus unter einen Hut zu bringen. Peter F. Drucker, einer der einflussreichsten Managementberater der letzten Jahrzehnte, hat aus seinem negativen Menschenbild keinen Hehl gemacht („der Mitarbeiter ist darauf aus, Sie zu betrügen…“). Eine aktuelle KPMG-Studie zur Wirtschaftskriminalität formuliert ihr implizites Menschenbild so: „Es herrscht vielfach eine gefährliche Kultur des Vertrauens. Vor allem Inhaber- und familiengeführte Unternehmen setzen bei ihren Mitarbeitern auf das Vertrauensprinzip – und machen sich damit angreifbar“. McKinsey habe ich oben schon zitiert. Ich habe nicht wenige Vorstände getroffen, denen die Lehrbuch-Formel „Führung ist die Erreichung von Zielen durch Mitarbeiter“ ganz selbstverständlich über die Lippen ging. Der Mensch als Werkzeug zur Zielerreichung – das hätte Machiavelli gefallen. Er hätte vielleicht einen Unterschied gemacht zwischen einer „guten“ Verwendung des Werkzeugs Mensch (z.B. zum Wohle der Firma) und einer „bösen“ (zur Steigerung der Vorstands-Boni).

Ein negatives, misstrauisches oder technokratisches Menschenbild passt keinesfalls mit der humanistischen Grundausrichtung der modernen Management-Lehre zusammen.

Frage: Könnte es sein, dass ein Teil der aktuell sichtbaren Glaubwürdigkeitsprobleme in der Politik wie im Unternehmen genau hierin wurzelt: In der erlebten Unstimmigkeit zwischen humanistischen Appellen und machiavellistischen Menschenbildern und Praktiken?

Mein Lektüre-Tipp für Ihren Urlaub: Volker Reinhardt: Machiavelli oder Die Kunst der Macht, Verlag C.H. Beck, München 2012

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* „Verständnisfragen“ werden manchmal bei Veranstaltungen gestellt, um zu Wort zu kommen, obwohl Fragen eigentlich nicht zugelassen sind. Die Veranstaltung, in der wir uns alle zusammen gerade befinden, scheint zu diesem Typus zu gehören. Fragen sind unerwünscht, lästig, halten nur den Betrieb auf. Der Schriftsteller Bodo Kirchhoff hat es 2009 so formuliert: Es bleibt keine Zeit mehr für Fragen, es reicht nur noch für Antworten. Ich nehme mir gerne einmal im Monat Zeit für aktuelle Fragen und für (gerne auch Ihre!) Antworten.

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