Newsletter 04/16

August 26, 2016

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N O T I Z E N  Z U R  C O R P O R A T E   C U L T U R E / 4

Wie schütze ich mein Unternehmen vor übergriffigen Gesinnungsethikern? Warum und wie Unternehmensethik neu durchdacht werden sollte

Tierschützer überfallen Geflügelfarmen, und das Video der Aktion wird stolz auf Youtube präsentiert. „Überzeugungstäter“ rufen per Rund-Mail zu Boykott-Kampagnen missliebiger Firmen oder Produkte auf oder stellen Manager mit vermeintlich unkorrekten Wertvorstellungen erbarmungslos an den Internet-Pranger. Die Verleumdungs- und Überwachungskampagnen der „neuen radikalen“ Studenten gegen missliebige Professoren an amerikanischen (und zunehmend auch europäischen) Hochschulen tragen zunehmend totalitäre Züge. Es ist offensichtlich, dass Menschen immer weniger Hemmungen haben, ihre moralischen Werturteile anderen aggressiv aufzuzwingen – ohne sich für andere Folgen als die angestrebte Medienaufmerksamkeit verantwortlich zu fühlen. Man könnte an die Worte des großen Volkswirtes und Soziologen Max Weber von 1919 denken, als er über die Aktivisten der damaligen sozialrevolutionären Kampagnen (die er übrigens „Karneval“ nannte) sagte:

„Verantwortlich’ fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür, dass die Flamme der reinen Gesinnung, die Flamme z. B. des Protestes gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Ordnung, nicht erlischt. Sie stets neu anzufachen, ist der Zweck seiner, vom möglichen Erfolg her beurteilt, ganz irrationalen Taten, die nur exemplarischen Wert haben können und sollen.“Politiker jeder Couleur tragen die „Flamme der reinen Gesinnung“ zuweilen ebenfalls gerne vor sich her, auffallend oft im Vorfeld von Wahlterminen – was sie heute wie damals dem Verdacht der Scheinheiligkeit aussetzt (Weber unterstellte dies den damaligen Politikern in neun von zehn Fällen).

Max Weber hat für ein pragmatisches Abwägen zwischen Ethos und politischer Verantwortung plädiert; seitdem etablierte sich die Folgen- oder Verantwortungsethik als Leitfigur des modernen Ethik-Diskurses. Das ethische Denken vom Ergebnis, also von der Bewertung der Folgen des eigenen Tuns her, erscheint uns als vernünftige, weil einigermaßen kalkulierbare Alternative zur reinen Pflicht- oder Gesinnungsethik.

Als Unternehmer konnte man sich seither, passend zum vorherrschenden utilitaristischen Wirtschaftsdenken, ganz auf die Sachebene und auf die Abwägung von langfristigen Nutzen und Risiken des eigenen Handelns konzentrieren. Die Gesinnung, die „Tugend“ des Einzelnen konnte im Wesentlichen als Privatsache (nicht) behandelt werden. Der mühevollen Synchronisierungs-Arbeit zwischen den korporativen Ethik-Leitlinien und den persönlichen Moralvorstellungen der Mitarbeiter musste man sich nicht unterziehen.

Dabei hat auch die Folgenethik durchaus ihre Tücken, führt sie doch leicht zur machiavellistischen „der Zweck heiligt die Mittel“-Moral. Sie kann im Unternehmen statt zur Übernahme von Verantwortung gerade umgekehrt zur Flucht vor der eigenen, persönlichen Verantwortung missbraucht werden.

Wie auch immer: Es hat sich allenthalben die Formel „ethisch = verantwortungsethisch = gut“ durchgesetzt. Und unter „Verantwortung“ werden, dem politisch-moralischen Mainstream entsprechend, die sozialen und ökologischen Verpflichtungen des Unternehmens gefasst.

Das ging so lange gut, wie sich alle Akteure gemäß dem Grundsatz: Gesinnung ist Privatsache verhielten und sich innerhalb eines allgemein akzeptierten pflichtenethischen Korridors bewegten. Damit ist es aber offenkundig vorbei. Immer mehr und immer aggressivere Gesinnungs-Spürtrupps sind unterwegs, um jede (vermeintliche oder tatsächliche) moralische Unkorrektheit des Einzelnen aufzudecken und unerbittlich anzuprangern. Gegen „reine“ Gesinnungsethiker helfen verantwortungsethische Unternehmens-Leitlinien nicht wirklich.

Es sieht sehr danach aus, als müssten sich die Unternehmen neu orientieren, genauer: ihre spezifische Adaption der „Ethik-Triade“ entwickeln:

Was soll sein? (Folgen-/Verantwortungsethik)
Wie soll ich handeln? (Pflichtenethik)
Wie soll ich sein? (Gesinnungs-/Tugendethik).

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* „Verständnisfragen“ werden manchmal bei Veranstaltungen gestellt, um zu Wort zu kommen, obwohl Fragen eigentlich nicht zugelassen sind. Die Veranstaltung, in der wir uns alle zusammen gerade befinden, scheint zu diesem Typus zu gehören. Fragen sind unerwünscht, lästig, halten nur den Betrieb auf. Der Schriftsteller Bodo Kirchhoff hat es 2009 so formuliert: Es bleibt keine Zeit mehr für Fragen, es reicht nur noch für Antworten. Ich nehme mir gerne einmal im Monat Zeit für aktuelle Fragen und für (gerne auch Ihre!) Antworten.

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