wuerzbergs verständnis fragen

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Newsletter 05/16

 

NOTIZEN  ZUR  CORPORATE  CULTURE / 5

Leitbild oder Leitbild? Schluss mit den Alibiveranstaltungen!

 

Unternehmens-Leitbilder in der heute geläufigen Form gibt es – zugespitzt formuliert –, seit  Firmen nicht mehr allein durch die Person und Autorität eines Unternehmers zusammengehalten werden können. Managementgeführte Unternehmen, aber auch andere Organisationen ab einer bestimmten Größe (nehmen wir als Schwellenwert der Einfachheit wegen mal hundert Mitarbeiter an) kanonisieren ihre Wertvorstellungen und Zukunftserwartungen, um den vielen Einzelnen einen Halt für ihre Zusammenarbeit zu geben. Wie bei allen anderen Corporate Identity-Instrumenten geht es darum, nach außen und innen wirkende, möglichst starke Symbole zu schaffen. Und wie für Corporate Identity-Vorhaben generell gilt auch hier: Ehrlichkeit hilft. Kunden wie Mitarbeiter haben ein feines Gespür für Unstimmigkeiten zwischen Auftritt und Substanz. Und die Mitarbeiter sind die Experten für den Abgleich von Innen- und Außen-Perspektive! Sie werden die (Un-) Glaubwürdigkeit, bewusst oder unbewusst, unweigerlich in ihr Umfeld und damit zu den Kunden tragen. Sowohl für die Unternehmenskultur als auch für die Fremdwahrnehmung entfalten jedenfalls unwahrhaftige Symbole verheerende Wirkungen, und es wäre wahrscheinlich besser, wenn es in diesem Fall gar kein Leitbild gäbe.

Zur Ehrlichkeit gehört auch, die Überschrift „Unser Leitbild“ nur dann zu verwenden, wenn das Leitbild partizipativ erarbeitet wurde. Und es schadet der Glaubwürdigkeit eines Leitbildes keineswegs, wenn es als unvollkommen oder lückenhaft wahrgenommen wird. In einem volatilen Umfeld, dem das neue Management-Ideal der Agilität entspricht, sollten Leitbilder nicht mehr als in Stein gemeißelte Gesetzestafeln daherkommen.

Ein modernes Leitbild vermeidet also aus gutem Grund die Ausrufung eines Kanons ewigwährender ethischer Prinzipien. Es ist mehr als Unternehmens-Philosophie und weniger als Beschwörung einer Ideal-Kultur geschrieben. Es formuliert die wesentlichen Prinzipien für die Erreichung gemeinsamer Ziele und will die Menschen in der Organisation hinter diesen Prinzipien versammeln.

Balance zu ermöglichen zwischen Selbstvergewisserung und Zukunftsoffenheit – das  wäre die Herausforderung an ein zeitgemäßes Leitbild. Anders ausgedrückt: Ein Leitbild lebt von seiner Offenheit für kontinuierlichen Aktualisierungswillen. Es gibt kein besseres Kriterium für die Vitalität einer Organisation als die akute (und natürlich lästige!) Nörgelei aller Beteiligten über die Differenzen zwischen formuliertem Anspruch und erlebter Wirklichkeit.

Leitbild oder Leidbild? Sowohl als auch! Ein LeiDTbild, über das nicht diskutiert wird, ist tot. Es hat wahrscheinlich nichts mit der realen, sondern nur mit einer fiktiven, erwünschten  Unternehmenskultur zu tun.

Aus all dem wird klar: Die Einführung eines (neuen) Leitbildes stellt  für jede Organisation eine echte Herausforderung dar. Ein neues Leitbild eröffnet einen neuen Abschnitt der Unternehmenskultur-Entwicklung. Das entsteht nicht von heute auf morgen, sondern ist ein tiefgreifender Transformationsprozess, der sich auf verschiedenen Ebenen vollzieht und daher vielfältige, intelligente Interventionen erfordert.

Das Unternehmensleitbild

  • ist eine Orientierung für gegenwärtiges und zukünftiges Handeln in einem sich ständig verändernden Umfeld;
  • bietet eine abgestimmte und stimmige Orientierung nach innen und außen für jeden Mitarbeiter; ermöglicht dem Einzelnen ein breites Feld der persönlichen Ausgestaltung seiner Arbeit und Kompetenz-Entfaltung;
  • fördert die ständige und offene Auseinandersetzung mit der Unternehmens- und Führungskultur.

Was macht ein Leitbild wertvoll? Die Faustformel lautet: 20 Prozent Inhalt / 80 Prozent (Entwicklungs- und Aktualisierungs-)Prozess. Die Qualität der Erarbeitung  – und hier insbesondere der Grad der Mitarbeiterbeteiligung entscheidet über die Akzeptanz und Wirksamkeit. Ob ein Leitbild als Selbstverpflichtung „gelebt“ wird oder nicht, kann niemals nachträglich, also losgelöst von seiner Entstehungsgeschichte, veranlasst werden.

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* „Verständnisfragen“ werden manchmal bei Veranstaltungen gestellt, um zu Wort zu kommen, obwohl Fragen eigentlich nicht zugelassen sind. Die Veranstaltung, in der wir uns alle zusammen gerade befinden, scheint zu diesem Typus zu gehören. Fragen sind unerwünscht, lästig, halten nur den Betrieb auf. Der Schriftsteller Bodo Kirchhoff hat es 2009 so formuliert: Es bleibt keine Zeit mehr für Fragen, es reicht nur noch für Antworten. Ich nehme mir gerne einmal im Monat Zeit für aktuelle Fragen und für (gerne auch Ihre!) Antworten.
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